Kurzfassung des Referats von alt Regierungsrat Anton Schwingruber anlässlich der 1. Generalversammlung des Vereins «Luzerner Landeswallfahrt zu Fuss nach Einsiedeln» vom 7. April 2011
Wallfahren – ein zeitloses Phänomen
Seit Jahrtausenden sind immer wieder Pilgerinnen und Pilger unterwegs zu Heiligtümern und Kraftorten. Es sind spirituelle und soziale Erfahrungen, die sie auf ihrem Weg sammeln. Wichtig ist dabei unter anderem, dass sich Menschen begegnen, die sich sonst kaum je begegnen würden. Mit dem Wallfahren waren in früheren Zeiten auch erhebliche Gefahren und of sogar eigentliche Abenteuer verbunden. Im Laufe der Geschichte kam es nicht selten auch zu Auswüchsen, so dass weltliche und kirchliche Obrigkeiten eingriffen.
Mitte 12. Jahrhundert | Legende von der «Engelweihe» der Gnadenkapelle verbreitet sich |
1337 | Erster sicherer Beleg von Wallfahrt aus dem Vorarlberg |
1353 | Pilgerspital wird gestiftet |
1466 | «Grosse Engelweihe» mit vielen Pilgern |
16. Jahrhundert | Rückgang der Wallfahrt während der Reformation; Zusammenrücken der katholischen Stände, Einsiedeln wird deren religiöses Zentrum. Offizielle Wallfahrten der katholischen eidgenössischen Stände werden zahlreicher. |
1600 | Gründung der Rosenkranzbruderschaft, die Prozessionen und geistliche Schauspiele veranstaltet. |
ab 1680 | jährlich mehr als 100’000 Pilger in Einsiedeln |
1773 | Verbot der geistlichen Spiele. |
1791 | Französische Revolutionsregierung verbietet Wallfahrt nach Einsiedeln |
1798 | Helvetische Regierung versucht Wallfahrten zu unterbinden, ebenso der Generalvikar des Bistums Konstanz |
ab 1815 | Wiederaufblühen der Wallfahrt |
19./20. Jahrhundert | Eisenbahn und Busfahrten verändern die Wallfahrt tiefgreifend |
20. Jahrhundert | Einbrüche während der beiden Weltkriegen; starke Zunahme nach dem 2. Weltkrieg, Rückgang ab zirka 1970 |
Frühe Quellen belegen nur vereinzelte „Massenwallfahrten“ der Luzerner nach Einsiedeln, so 1445 (Alter Zürichkrieg) und 1571. Solche obrigkeitlich „verordnete“ Standeswallfahrten blieben aber anscheinend die Ausnahme.
Belegt sind zudem von der Obrigkeit als Strafe oder Busse angeordnete Wallfahrten einzelner Delinquenten:
1681 | Joseph Schrag aus Alberswil wegen einer Schlägerei, verbunden mit einer Busse von 50 Gulden |
1710 | Xaver Luternauer aus Ruswil wegen Reden gegen die Obrigkeit (verbunden mit Wirtshausverbot) |
1798-1803, Helvetik | Organisierte Wallfahrten sind verboten, doch das Verbot erweist sich als schwer durchsetzbar. Reaktion der Helvetischen Regierung: Wenn das Wallfahren nicht unterlassen werden kann, dann wenigstens zu Bruder Klaus und nicht zu einem Marienheiligtum. |
ab 1845 | Nach den Freischarenzügen wird aus Kreisen des Ruswiler Vereins zu einem Dank- und Bittgang nach Einsiedeln aufgerufen; rund 4000 Menschen nehmen teil, auch Joseph Leu von Ebersol. 1846 erneute Durchführung. Mindestens bis Ende des 19. Jahrhunderts regelmässig wiederkehrend; Teilnehmer vor allem aus der Region Luzern und Hohenrain. |
20. Jahrhundert | Regelmässige «Landeswallfahrten» nach Einsiedeln und Sachseln, organisiert vom Schweizerischen katholischen Volksverein (Sektion Luzern), vom Katholischen Frauenbund und von der kantonalen Priesterkonferenz. Die Organisatoren legten Wert auf die Teilnahme einer Regierungsdelegation samt Standesweibel, um damit der Wallfahrt ein offizielles Gepräge zu verleihen.Die Teilnahme einer Regierungsdelegation im 20. Jahrhundert ist nur lückenhaft belegt, aber es scheint, dass sie die Regel war. Gleichzeitig war aber die Regierung auch bemüht, kulturkämpferische Noten oder parteipolitische Akzente zu vermeiden. |
ab 2001 | Neulancierung einer flankierenden Wallfahrt zu Fuss nach Einsiedeln, um der Luzerner Landeswallfahrt wieder etwas vom ursprünglichen Unterwegs-Sein zu verleihen. Daran nimmt regelmässig eine (inoffzielle) Delegation der Regierung und des Kantonsrates teil. |
Jürg Schmutz, Staatsarchivar des Kantons Luzern: «Die Luzerner Landeswallfahrt nach Einsiedeln». Unveröffentlichtes Manuskript. Luzern 2010
«Die Luzerner Landeswallfahrt nach Einsiedeln beruht nicht auf einer langen, auf das Spätmittelalter zurückgehenden Tradition, sondern geht im Wesentlichen auf einen Dank- und Bittgang nach den Freischarenzügen zurück. Trotz dem offiziös anmutenden Titel ‹Landeswallfahrt› handelte es sich nie um eine offiziell im Namen der Regierung oder des Parlaments durchgeführte, sondern um eine private, durch den Volksverein, den Frauenbund und die Priesterschaft organisierte Pilgerfahrt. Die Regierung wurde in der Regel eingeladen und nahm mit einer Delegation an der Wallfahrt teil. Vor zehn Jahren ist die Landeswallfahrt nach Einsiedeln erfolgreich wiederbelebt worden.»
Jürg Schmutz, April 2011